Pressemitteilung: Symposium zu Freien Solidargemeinschaften in Stuttgart

Pressemitteilung: Symposium zu Freien Solidargemeinschaften in Stuttgart

Stuttgart/ Wissenschaft und neue Sichtweisen erfahren, macht Freude. Das zeigte das erste Symposium zu Freien Solidargemeinschaften für Gesundheit (FSG) in Stuttgart. Es war ein großer Erfolg. Ein Rechtsphilosoph und ein Gesundheitsökonom, eine Politikwissenschaftlerin und zwei Psychologen, ein politischer Ökonom und ein Theologe, ein Jurist und ein Soziologe waren auf Einladung des Solidago-Bundesverbandes zusammen gekommen, um ihre Arbeiten zum Phänomen der Freien Solidargemeinschaften kurz und knackig vorzustellen. Diese bunte und zugleich inhaltsreiche Mischung lieferte den Stoff für spannende Diskussionen unter den rund 70 TeilnehmerInnen. „In jedem Vortrag war ein Schatz zu heben,“ sagte ein junger EDV-Leiter. „Ich bin voll abgefahren auf das, was ich dort gehört habe“, schwärmte eine rüstige Dame im Rentenalter.

Freie Solidargemeinschaften für Gesundheit sind Vereine, die ihre Gesundheitsabsicherung selbst in die Hand nehmen, unabhängig von GKV und PKV. Das besondere an diesen Gesundheitsvereinen ist, das sie sich in dezentralen kleinen Gemeinschaften mit eigenen Entscheidungsrechten und bundesweiten Zusammenschlüssen weitestgehend ehrenamtlich organisieren. Auf dem Symposium trafen erstmalig Mitglieder von verschiedenen Freien Solidargemeinschaften für Gesundheit mit Wissenschaftlern zusammen. Das gegenseitige Interesse war groß, entsprechend inspirierend die Stimmung.

Es ging um Fragen der Gerechtigkeit und des Rechtsrahmens, um Wirkmechanismen und Organisationstrukturen bei der Verwaltung von Gemeingütern sowie von lokalen Gemeinschaften. Als ein roter Faden zogen sich Fragen der Menschenwürde und ihr Bezug zum Gesundheitssystem durch die wissenschaftlichen Beiträge. Professor Dr. Stephan Kirste, Rechtsphilosoph an der Universität Salzburg spannte zu diesem Grundwert der Demokratie in Deutschland den Bogen von der Antike bis in die Gegenwart. Aufbauend auf die philosophischen Ökonomen Amartya Sen und Martha Nussbaum, zeigte er wie durch die Einbeziehung der Menschenwürde ein Ausgleich zwischen den in Gerechtigkeitsfragen konkurrierenden Werten Freiheit und Gleichheit geschaffen werden kann. Er machte auch deutlich, dass nicht nur Experten, sondern prinzipiell alle Menschen über gerechte Lösungen mitentscheiden können und sollen.

Armin Steuernagel, Ökonom der Uni Witten/Herdecke stellte den Gemeingüter-Ansatz der Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom vor. Nach vorherrschender Meinung könnte die ökonomische Bewirtschaftung von Allgemeingütern nicht funktionieren. Weltweit zeigen selbstverwaltete Organisationen, dass es doch funktioniert. Ein Beispiel dafür sind auch die Freien Solidargemeinschaften für Gesundheit. Steuernagel stellte fest, dass die teilnehmenden Solidargemeinschaften sehr gut dezentral auf verschiedenen Ebenen arbeiten. Die meisten der 7 Design-Kriterien für erfolgreiche Selbstorganisation nach Ostrom erfüllen sie bereits: Klare Grenzen und Regeln und die Mitbestimmung bei den Regeln, Konfliktlösungsarenen. An der Eingebundenheit in die Umwelt und einer externen behördlichen Anerkennung fehle es noch.

Um letztere für die FSG zu erreichen, empfahl Jan Matthias Hesse, Rechtsanwalt aus Stuttgart, den Blick stärker auf die Probleme der anderen Akteure im Gesundheitswesen zu richten und das eigene Innovationspotenzial in die Entwicklung des Gesundheitssystems mit einzubringen. Zuvor gab er einen Überblick über frühere und laufende Rechtsverfahren zu FSG und zeigte auf, dass es bislang kein höchstrichterliches Urteil gegen FSG gibt. Der Spielraum für FSG sei somit weiterhin vorhanden.

Der Soziologe und Psychotherapeut Dr. Roger Dufern aus Freiburg berichtete über die von ihm vor 10 Jahren gegründete kleine Solidargemeinschaft „Solidarkunst“. Sie wurde als Zusatzabsicherung zur Abdeckung von durch die GKV nicht förderfähigen künstlerischen Therapien konzipiert. Dufern vertrat die Auffassung, dass nach dem Prinzip der subsidiären Solidarität, Dinge, die man in kleinen Kreisen regeln kann auch dort regeln soll. Die gesetzliche Krankenkasse sei Gold wert, besonders dann, wenn sie durch Freie Solidargemeinschaften ergänzt wird.

Dass wir in Deutschland ein gutes Gesundheitssystem haben, bestätigte auch Thomas Jakubowski, Pfarrer aus Schifferstadt. Unser Gesundheitswesen, sei besser als die meisten in der Welt, nicht zuletzt weil es auf religiösen Wurzeln beruhe. Denn die christliche Kirche habe nicht nur Hexenverfolgung und Kreuzrittertum, sondern auch den Grundsatz der Barmherzigkeit, Diakonie und Caritas hervorgebracht. Das Vertrauen auf Gemeinschaft hat ermöglicht, dass Heilung geschehen konnte. Das Miteinander sei nicht nur Weg sondern auch Ziel zu Gott. „Jeder gibt jedem, was er braucht. Das Getragensein von den Menschen, das macht stark, das heilt“, sagte Jakubowski. Das kann kein Rechtsanspruch auf Leistung je erreichen. Die FSG sind nicht neu. Seit 1000 Jahren gab es Krankenhilfen der Zünfte, die der Pfarrer über 100 Jahre und zwar ohne Rechtsanspruch. Sie durften keinen Rechtsanspruch gewähren. Seit 2007 sollen sie dazu verpflichtet werden. Das ist absurd. Das brauchen wir nicht.

Die erste Forschungsarbeit zu den Freien Solidargemeinschaften aus dem Jahr 2009 stellte die Politikwissenschaftlerin Cornelia Wiethaler vor. Sie untersuchte Wirkmechanismen in den Gemeinschaften und befragte Mitglieder mit schweren Erkrankungen. Bei gleichzeitig hoher Zufriedenheit der Mitglieder zeigte der Blick auf die Kostenstruktur deutlich geringere Pro-Kopf-Ausgaben als bei Mitgliedern von GKV und PKV. Woran liegt das? Kann durch diese Organisationsform eine Kostenersparnis im Gesundheitswesen erzielt werden?

Und, was kann man von den FSG sonst noch lernen? Diesen Fragen geht aktuell PD Dr. Christian Krauth nach, Gesundheitsökonom und GKV-Forscher an der Medizinischen Hochschule Hannover in einem aktuellen Forschungsprojekt zur Evaluierung der Solidago. Er zeigte sich zuversichtlich, dass in den FSG Innovationspotenzial für das Gesundheitssystem zu entdecken ist. Aus der Teilnehmerschaft wurde dann auch gleich das Anliegen formuliert, neue und bessere Messinstrumente für Gesundheit zu entwickeln. PD Dr. Ulrike Becker-Beck und Prof. Dr. Beck vom BAP aus Saarbrücken hatten Anfang 2014 Mitglieder der Solidago-Organe untersucht und beraten. Die Auswertung ergab, dass das gegenwärtige Team der aktiven bei Solidago in den meisten Dimensionen überdurchschnittliche Ausprägungen zeigt. Und in der Tat sparten auch die Mitglieder nicht mit Lob nicht nur für die Dozenten sondern auch für die aktiven ehrenamtlichen Solidagos. Die strahlende Herbstsonne unterstrich noch die Aufbruchsstimmung des Symposiums.

 

http://www.solidago-bund.net/Pressemeldung01

Datum: 
Dienstag, 4. November 2014, 13:30 Uhr
Kategorie: